Angemessene privilegierte bauliche Veränderungen und grundlegende Umgestaltung der Wohnanlage

In der Überschrift tauchen drei Rechtsbegriffe aus dem reformierten Wohnungseigentumsgesetz auf, die in der Praxis viele Fragen aufwerfen. Das Landgericht München I hat nun für etwas Klarheit gesorgt.

Schauen wir uns zunächst einmal das „privilegiert“ an. Im neuen Wohnungseigentumsgesetz findet sich zunächst eine Definition, was bauliche Veränderungen sind. Bestimmte bauliche Veränderungen sind vom Gesetzgeber gewollt und werden als privilegierte bauliche Veränderungen bezeichnet, auch wenn sich dieses Wort selbst im Gesetzestext nicht findet. Geregelt sind diese in § 20 Absatz 2 WEG. Es sind bauliche Veränderungen, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderungen, dem Laden elektrisch betriebener Fahrzeuge, dem Einbruchsschutz und dem Anschluss an ein Telekommunikationsnetz mit sehr hoher Kapazität dienen. Nur am Rande bemerkt hat der Gesetzgeber hier leider erneut bewiesen, dass er sein Handwerkszeug nicht mehr versteht, da hier eigentlich statt des „und“ ein „oder“ hingehört hätte, da alles vier zusammen ja nicht vorliegen kann.

In dem vom Landgericht entschiedenen Fall ging es um einen Außenaufzug. Diesen fasste das Gericht unter eine bauliche Veränderung, die dem Gebrauch durch Menschen mit Behinderung dient. Das Gericht stellte hierzu zunächst klar, dass egal ist, ob und bei wem eine Behinderung vorliegt. Es ist also nicht etwa so, dass der Antragsteller selbst oder seine Familie oder im Falle der Vermietung sein Mieter auf den Aufzug angewiesen sei. Auch eine zweite entscheidende Frage klärte das Gericht. Es sei keine lückenlose Barrierefreiheit erforderlich. Auch wenn man also zu dem Aufzug erst nach dem Überwinden von Treppen gelangen könne, diene der Aufzug dennoch der Barrierefreiheit und sei daher privilegiert. Es genüge, wenn er abstrakt Menschen mit körperlicher oder auch geistiger Behinderung förderlich sei.

Die bauliche Veränderung muss nach dem Gesetzestext desweiteren „angemessen“ sein. Das Landgericht vertrat hier die Auffassung, dass privilegierte bauliche Veränderungen in der Regel immer angemessen seien. Hierbei sei allerdings zu prüfen, ob es nicht Alternativen gebe, wie einen Treppenlift oder einen Innenaufzug.

Richtig spannend wurde es nun aber bei der Art des Hauses. Es handelte sich hier im Wesentlichen nämlich um ein Jugendstil-Anwesen, das unter Denkmalschutz stand. Lassen wir die öffentlich-rechtlichen Genehmigungen mal außen vor, gibt es hier wohnungseigentumsrechtlich einen weiteren Fallstrick: Bauliche Veränderungen, die die Wohnanlage „grundlegend“ umgestalten, sind nach § 20 Abs. 4 WEG verboten. Das Landgericht war der Auffassung, dass eine solche grundlegende Umgestaltung nahezu nie vorkommen kann, vor allem angesichts des besonderen Stellenwerts von priviliegierten baulichen Veränderungen. Blosse architektonische Disharmonien seien noch keine grundlegende Umgestaltung, die der Wohnanlage ein neues Gepräge geben würde. Ein Beispiel für eine grundlegende Umgestaltung sei zum Beispiel, wenn ein Garagenhof in einen Park verwandelt werde, nicht aber, wenn ein Aufzug oder Balkon angebaut werde. Da es hier um ein im Hof gelegenes Gebäude ging, das nicht wie das davor auf der Strassenseite gelegene eine Prachtfassade aufwies, wurde hier die grundlegende Umgestaltung vom Gericht verneint. Abgesehen davon könne durch die Ausgestaltung des „Wie“ bei baulichen Veränderungen, über das die Gemeinschaft ja schon im Beschlussweg entscheiden darf, auch eine verträgliche Optik beschlossen werden.

Das Urteil war bei Veröffentlichung noch nicht rechtskräftig, die Revision wird beim Bundesgerichtshof geführt (Az. V ZR 244/22)

Urteil vom 08.12.2022

Gericht: LG München

Aktenzeichen: 36 S 3944/22

Quelle: NZM 2023, 164

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